WORKSHOP: Schwerefeld, Eisschild und Struktur des Erdinneren in Antarktika: Wechselbeziehungen verstehen - Potsdam, 05. und 06. Mai 2022

Am 5. und 6. Mai 2022 wurde im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms „Antarktisforschung“ ein zwei halbe Tage dauernder Workshop „Schwerefeld, Eisschild und Struktur des Erdinneren in Antarktika: Wechselbeziehungen verstehen“ durchgeführt. Dieser Workshop, organisiert von Mirko Scheinert (TU Dresden), Roland Pail (TU München) und Jörg Ebbing (Universität Kiel), fand im Anschluss an die 28. Internationale Polartagung statt. An diesem Workshop nahmen 19 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler teil, die folgende Institutionen vertraten: TU München, TU Dresden, LMU München, Universität Kiel, GFZ Potsdam, BGR Hannover sowie AWI Bremerhaven.

Der Workshop hatte zum Ziel, den aktuellen Stand der Forschung zur Verbindung zwischen Schwerefeld, Erdstruktur und Antarktischem Eisschild zu diskutieren und vorrangige Ziele für die weitere Forschung aufzuzeigen. Damit fokussierte er auf die im Rahmen des SPP formulierten übergreifenden Themen Dynamics of climate system components (insbes. Ice sheet dynamics and mass balance) und Development of the continent (insbes. Evolution of the Antarctic Ice Sheet).

International besteht eine enge Anbindung an das SCAR Scientific Research Program INSTANT (Instabilities and Thresholds in Antarctica), bei dem vor allem im Theme 2: „Earth-Ice Interactions“ Kolleginnen und Kollegen in der Leitung folgender Gruppen (Sub-Committees, SC) vertreten sind:

SC2.1 – Antarctic Geothermal Heat Flux (GHF): Mareen Lösing (CAU Kiel);

SC2.2 – Probing the Solid Earth and its Interactions (PSE): Mirko Scheinert (TU Dresden);

SC2.3 – GIA and near-field sea level change (EIS): Volker Klemann (GFZ Potsdam).

 

Das Programm des Workshops beinhaltete Grundsatzvorträge zu ausgewählten Themen, an die sich ausführliche Diskussionen anschlossen, in deren Verlauf Schlüsselfragen benannt wurden.

 

Roland Pail (TU München) berichtet zur globalen und regionalen Schwerefeldmodellierung. Hier ist der erfolgreiche Einsatz bereits beendeter Satellitenmissionen zu betonen (insbes. GRACE und GOCE). Für die Auflösung des zeitvariablen Schwerefelds – und für die Ableitung der gravimetrischen Massenbilanz Antarktikas unerlässlich – ist die Fortsetzung mit GRACE-FO. Folgende Schlüsselfragen wurden formuliert:

  • Welchen Mehrwert bringen neue globale und regionale Schwerefeldmodelle, welche neuen Anwendungen werden möglich?
  • Ist die hohe Genauigkeit für geophysikalische Anwendungen erforderlich?
  • Wie können Genauigkeitsinformationen in der Modellierung genutzt werden?
  • Können zeitvariable Modelle für die geophysikalische Modellierung genutzt werden? Welchen Mehrwert kann die Satellitenmission MAGIC erbringen?

 

Mirko Scheinert (TU Dresden) berichtet zu geodätischen in-situ Messungen in Antarktika (speziell GNSS). Aktuell erfolgt im SCAR-unterstützten Projekt GIANT-REGAIN eine Reprozessierung aller seit den 1990er Jahren bis 2021 verfügbaren GNSS-Daten in vier verschiedenen Prozessierungszentren mit dem Ziel, konsistente Zeitreihen täglicher Stationskoordinaten in Antarktika zur Verfügung zu stellen. Die weitere Interpretation der GNSS-abgeleiteten Koordinatenzeitreihen ist Gegenstand intensiver Forschung. Folgende Schlüsselfragen wurden benannt:

  • Wie können Eisauflaständerungen während des Holozäns besser erfasst werden?
  • Wie können GNSS-Messungen mit gesicherter Infrastruktur fortgesetzt werden, um Effekte zukünftiger Eismassenänderungen zu erfassen?
  • Modellierungswerkzeuge sind vorhanden bzw. werden weiterentwickelt (nicht-lineare Rheologien wie z.B. Extende Burgers Model (EBM), 3D-Variationen), aber:
  • Können rheologische Parameter durch geophysikalische Verfahren / Modellierung besser eingegrenzt werden?

 

Graeme Eagles (AWI Bremerhaven) und Antonia Ruppel (BGR Hannover) berichten zur Anwendung aerogeophysikalischer Methoden in Antarktika. Das AWI setzt die beiden Polarflugzeuge Polar-5 und Polar-6 ein. Die mögliche Instrumentation umfasst Gravimeter, Magnetometer, GNSS, Eis-, Akkumulations- und UWB („ultra-wide band“)-Radar, Laserscanner, meteorologische Sensoren und diverse Video- bzw. Kamerasysteme. Planungen zukünftiger Messkampagnen konzentrieren sich auf das Filchner-Ronne-Eisschelf (FRIS). Hier steht vor allem die Erforschung des Grenz- bzw. Übergangsbereichs zwischen Ost- und Westantarktika mit seinen subglazialen Eigenschaften und geodynamischen Evolution im Mittelpunkt. Die BGR setzt Helikopter-basierte Magnetik zur Erforschung von Geologie, Tektonik und Geodynamik vorwiegend im Nord-Viktoria-Land ein.  Schlüsselfragen sind:

  • Wie kann die Modellierung der Ozeanbodentopographie unter Eisschelfen mit Hilfe von Potentialfeldverfahren verbessert werden?
  • Wie trägt die Erfassung von Eisdicke, Ozeanboden- bzw. Eisuntergrundtopographie, Aufsetzlinie und der Ozeankaverne unter Eisschelfen zum besseren Verständnis der Eisschild-(In-)Stabilität und zur einer verbesserten regionalen/globalen Klimamodellierung bei?
  • Wie können die verschiedenen aerogeophysikalischen Observablen miteinander als auch mit weiteren (Satelliten und bodengestützten) Daten besser verknüpft werden, um vor allem geologische Variationen und Tektonik im Übergangsbereich zwischen Ozean und Kontinent als auch zwischen West- und Ostantarktika zu erforschen?
  • Welche neuen Plattformen (insbesondere UAV bzw. Drohnen) können zukünftig genutzt werden?

 

Mareen Lösing (CAU Kiel) berichtet zum geothermischen Wärmefluss in Antarktika (GHF). GHF spielt eine Schlüsselrolle bei der Produktion basalen Schmelzwassers und damit für die Kopplung des Eisschilds mit dem Felsuntergrund (basale Reibung, basales Gleiten, Fließgeschwindigkeit, Erosion, rheologische Eigenschaften des Eiskörpers), und stellt somit einen wichtigen Randwert für die Eischild-Modellierung dar. Als Schlüsselfragen wurden formuliert:

  • Wie kann der GHF auf kürzeren Wellenlängen besser erfasst / modelliert werden?
  • Was können wir aus der Evaluation verschiedener Modelle lernen, die insbesondere in entscheidenden Bereichen divergieren?
  • Wie reagiert der Eisschild auf den geothermischen Wärmefluss?
  • Wie kann Konsistenz bei den Unsicherheitsmaßen erreicht werden, und wie spiegelt sich die Unsicherheit der GHF-Modellierung in der Eischild-Modellierung wider?
  • Was wird benötigt?
  • In-situ Daten (Bohrprojekte, geologische Beprobung, …);
  • Höher aufgelöste 3D-Modelle des Mantels;
  • Verknüpfung mit Radardaten zur Erfassung basalen Schmelzens und (inversen) glaziologischen Modellierung, bessere Erfassung / Modellierung des Temperaturverlaufs im (tieferen) Eiskörper.

 

Meike Bagge (GFZ Potsdam) berichtet zur Erdstruktur in Antarktika und Anwendung (gekoppelter) GIA-Modelle. Die Reaktion der festen Erde (glazial-isostatischer Ausgleich, GIA) auf wechselnde Eisauflasten hängt von der Eisauflastgeschichte und der Struktur des Erdinneren ab. Beide Größen sind komplex, durch eine Vielzahl an Parametern beschreibbar und weisen große Unsicherheiten auf, so dass direkte (oder Vorwärts-) Modelle ebenfalls große Unsicherheiten aufweisen, die sich in deutlichen Diskrepanzen sowohl zwischen den Modellen als auch zu den Ergebnissen der GNSS-Messungen äußern. Folgende Schlüsselfragen ergeben sich:

  • Wie beeinflussen Wahl und Unsicherheit der Parameter der Erdstruktur die Ergebnisse der GIA-Modellierung und weitere Kopplungen (wie Instabilität des Eisschilds)?
  • Konvertierung von Temperatur zu Viskosität;
  • laterale Variationen (3D-Modellierung).
  • Wann und wo ist eine 3D-Modellierung der Erdstruktur zu bevorzugen?
  • Wie kann die Validierung von GIA-Modellen mit in-situ bzw. Satellitendaten verbessert werden? Wie kann das Problem der Mehrdeutigkeit bei der GIA-Modellierung entschärft werden?
  • Können neue Methoden (wie KI) bei der Modellverbesserung helfen?

 

Ingo Sasgen (AWI Bremerhaven) berichtet zu Eisauflastgeschichte und GIA. GIA-Schätzungen werden einerseits aus direkter oder Vorwärtsmodellierung (Eisauflastgeschichte und Erdstruktur), andererseits aus datengetriebenen Ansätzen gewonnen, wobei die Übergänge fließend sein können (Einbeziehung von RSL oder GNSS-Daten als Randwerte, regionale Schätzung, Inversion). Dabei stellt der gravitative Effekt des glazial-isostatischen Ausgleichs nach wie vor die größte Unsicherheit bei der satellitengravimetrisch bestimmten Massenbilanz des Antarktischen Eisschilds dar. Schlüsselfragen sind:

  • Welche Methoden können eingesetzt werden (und wie können sie verbessert werden), um Eisauflastgeschichte, Rheologie und glazial-isostatischen Ausgleich in einem konsistenten Rahmen zu schätzen?

Welche zeitlichen und räumlichen Skalen sind entscheidend (Abhängigkeit bzw. gegenseitige Beeinflussung von Eisauflast, Rheologie und resultierendem GIA)?


Zurück zu allen Meldungen